Aus der Serie:
Vom Leben und Treiben der Gerta B.
"Hast tatsächlich einen total guten Überblick von hier oben", sagte Gerta B. vergnügt und ließ die Beine
baumeln. Nicht direkt die Beine, die hatte man nicht mehr hier oben, nur die Seele von den Beinen
sozusagen, denn alles war Seele hier, aber baumeln konnte man sehr schön.
Mitten im Baumeln fiel ihr aber etwas ein, und sie musste sogar lachen, mit der Seele natürlich:
"Ist ja eine Schnapszahl diesmal!" Und dann griff sie spontan zu ihrer Flüstertüte, die sie immer
parat hatte, und flüsterte hinein und hinunter, nicht unfreundlich, aber doch sehr bestimmt:
"Kein Schnaps, keine harten Sachen!" Sehr zufrieden legte sie die Flüstertüte wieder beiseite. Sie
wusste genau, dass man ihr Geflüster vernehmen würde, nicht mit den Ohren natürlich, denn Kommunikation
von hier oben verlief immer nur per Seele. Man weiß das unten nicht, dachte sie, die da unten glauben,
dass nur mit den Ohren und den Augen kommuniziert werden kann, dass nur Gesprochenes und Gesehenes
Kommunikation ist, und Gerta B. musste wieder lächeln.
"Habe ich auch gedacht zu meinen Lebzeiten!" Und dann dachte sie, dass es urkomisch sei, im jetzigen
Stande der Ewigkeit inklusive ewigen Lebens von ihren "Lebzeiten" da unten zu reden.
Gerta B. war direkt zuständig für V.V. und für A.V., die sie mit ihrer Wolke Nummer 211044010903 ständig
metaphysisch überschwebte, nebenbei dann noch für einige andere, die es auch nötig hatten. Sie hatte
diese Leute himmlisch zu beflüstern, das gehörte zu ihren hauptsächlichen Aufgaben hier oben. All das
geschah quasi von selbst, es brauchte keine besonderen Anordnungen dazu, denn als Wolke war Gerta B.
selbstredend mit Himmel, Erde und Ewigkeit total vernetzt per Seele, wodurch sie ohne Weiteres auch
an die Allgegenwart und den Allverstand des Himmels angeschlossen war. Außerdem war sie jetzt auch ein
Teil des Allgefühls und spürte sofort, wann wo was und wie geflüstert werden musste.
"Das richtige Gespür hatte ich allerdings auch schon vorher gehabt", sagte sie, während sie in dem
Seelenzipfelchen, das früher ihr Zeigefinger gewesen war, eine gewisse Erhobenheit spürte. Alles in
allem war es sehr schön unter den Unsterblichen, himmlisch sozusagen. Alle Wolken mit Nummer gehörten
dazu, und sie waren wirklich kaum noch zu zählen. Der Himmelszustand ist ein wenig wie ewiger Schnaps,
aber viel erhabener, dachte Gerta B. Dann griff sie schnell wieder zur Flüstertüte und flüsterte
nochmal:
"Kein Schnaps und keine harten Sachen!" Zufrieden legte sie ihr Seelenrohr wieder ab und fuhr fort,
himmelsmäßig zu existieren. Wichtigster Bestandteil dieses Zustandes war der ewige Lobgesang, und in
dieser Disziplin war nun Gerta B. wahrhaft Meisterin. Seit sie hierher versetzt worden war, war auch
ihre Stimme allhörbar geworden, und das war sehr gut für den Himmel.
"Damals im Chor war es auch sehr schön gewesen..." Gerta B. wurde es träumerisch zumute, das war auch
zulässig, ewiges Träumen gehörte zu den beliebtesten Formen von Himmelsexistieren. Allerdings hätte die
Musikvereinigung von Bad Soden ihre Stimme sehr gut brauchen können, dachte sie, doch musste man
einräumen, dass im Himmel Singen noch wunderbarer und jedenfalls viel bedeutender ist als da im Taunus.
Irdisch braucht man junge Stimmen, dachte Gerta B. und spürte sofort, dass dieser Gedanke gleich nach
unten geflüstert werden musste:
"Singen macht viel Freude, am besten im Chor!" Dann schickte sie eine Passage aus dem "Haleluja"
hinterher.
Der zweite Teil des himmlischen Seins und der Himmelsfreude bestand, wie schon gesagt, in der Behütung
der zugeordneten Irdischen, welche man im Himmelsjargon meistens nur "die Sterblichen" nannte. Man
musste im Himmel genau das behüten, was man schon zu Erdenzeiten am liebsten gehabt hatte, ein wirklich
feines Angebot und der eigentliche Grund dafür, dass so viele in den Himmel wollten. Natürlich durfte
nach dem himmlischen Reglement metaphysische Behütung niemals physikalisch stattfinden, was unten
ablief, geschah strikt mit den dortigen Mitteln, und der Himmel mischte sich nicht ein. Sich aus dem
irdischen Tohuwabohu herauszuhalten, war eisernes Himmelsgesetz, denn anders hätte sich wahre
Himmelsmäßigkeit hier oben bestimmt nicht lange aufrechterhalten lassen. Behütet wurde ausnahmslos
über das allseelische Netz und also immer nur mittels Seele. Beispielsweise war direktes Einflüstern
bei Prüfungen nach dem Reglement nicht erlaubt, moralische Stärkung hingegen war gestattet und erwünscht.
Wer behütet wurde, spürte das ohne Weiteres, und aus dem Geflüsterten fertigte man unten die Entschlüsse,
die man für sein irdisches Leben brauchte.
"Natürlich weiß V.V. ganz genau", sagte Gerta B., den glücklichen Umstand zwischendurch mit einem kleinen
Lobgesang preisend, "dass sie mein Lieblingsbehütungsobjekt ist." Dann nahm sie abermals die Flüstertüte
zur Hand, um mit einer gewissen Feierlichkeit folgende Seelen-Info abzusetzen:
"Liebes Kind, zu deinem Geburtstag wünsche ich dir ganz viel Glück und allen Himmelssegen, über welchen
ich hier disponieren kann!" Einen Moment war sie noch unschlüssig, ob sie es bei "liebes Kind" lassen
oder besser "liebe Tochter" flüstern sollte, entschied sich dann aber für "Kind", denn das sei auf
jeden Fall nicht falsch und vielleicht auch besser, seelisch genommen. Schon war sie drauf und dran, eine
Behütungspause einzulegen, um derweil Himmelsgesang zu machen, als ihr sozusagen siedendheiß einfiel, dass
sie doch etwas ungemein Wichtiges beinahe vergessen hätte. Also doch nochmal Flüstertüte:
"Und Zähneputzen nicht vergessen, abends und auch morgens, das ist sehr wichtig!" Jetzt durfte gesungen
werden. Gerta B. schickte dann noch einige wirklich sehr schöne Lieder hinunter und schloss, ein wenig
belustigt trotz des ewigen Ernstes, der um sie herumwallte, mit dem üblichen Spruch:
"Und jetzt noch der Abspann:
Wenn ihr wissen wollt, wie es mit dem Himmelsgeflüster weitergeht, dann versäumt nicht, demnächst die Seelen
wieder einzustellen, dann versäumt nicht die weiteren unirdisch spannenden Folgen der ewigen Serie