Vom Leben und Treiben der Gerta B.

- 80. Folge -

Gerta B. hatte Geburtstag, wie alle Geschöpfe von Zeit zu Zeit mal Geburtstag haben, seien sie aus dem wahren Leben oder aus der Fantasie geboren, aus dem Muttergesicht oder aus dem Himmel geschnitten, Produkte elterlichen Mühens oder dichterischer Mühsal, und alle freuten sich. Die Tochter, weil die Mama zu einer derart gut geratenen Tochter gekommen war, der Gatte, weil ihm an diesem Tag seine Existenz als Gatte seiner Gattin besonders sinnvoll erschien, die beiden Meerschweinchen, die unbestimmt, aber UMSO ungestümer großartige Erwartungen in bezug auf Löwenzahn, Gartengräser, Salat und andere wunderbare Futteralien hegten, und all die kleinen Bazillen, die, weil der Gatte Schnupfen hatte, in dessen Nase soeben eine Zeit blühender Hochkultur erlebten. Und auch Gerta B. freute sich, weil sie da war, weil sie so war, wie sie eben war, und weil sie nicht anders war, als sie nun einmal war, sie freute sich also über das Wunder ihres Daseins, ihres Soseins und ihres Nichtandersseins, ein Wunder, das sich heute wieder einmal aufs Schönste erfüllte und bestätigte. Wie hätte man sie sich denn anders wünschen können, und was hätte sie sonst auch sein sollen? Natürlich hätte sie auch die heilige Maria sein können oder die Weltmeisterin im Kugelstoßen, Aber was hätte das denn genützt? Das hätte den anderen doch nur eine beschwerliche Existenz als Jesuskind oder als Heiliger Geist oder als - wahrscheinlicher - der Nährvater Josef aufgedrückt, ganz zu schweigen von den furchtbaren Risiken, denen die Angehörigen einer mit Eisenkugeln oder mit ähnlich harten Gegenständen übungshalber um sich werfenden Sportlerin täglich sich hätten aussetzen müssen.
Also hatten alle Anlaß zur Freude, und das Fest trieb seinem Höhepunkt zu. Die unermüdliche Wunderkerze hatte schon zum einhundertundfünfundneunzigsten Mal "Happy burthday" gespielt, und Gatte und Tochter räusperten sich bereits, um mit ihrem Ständchen einzufallen, als dem Festakt nochmals eine empfindliche Störung zustieß. Es waren die Meerschweinchen, die angesichts des feierlichen Arrangements plötzlich von der tiefen Sorge gepackt wurden, daß sie in ihrem ganzen Leben nie mehr Futter bekämen.
"Jetzt oder nie" kommandierte das dicke Möhrchen (Anm. d. Red.: Es handelt sich um eine freie Übersetzung, im Orginal klang es ähnlich wie "Oik, oik, oik, brrr-brrr, pfüt, pfüti"), wonach die runde Sissi siebenundzwanzig gellende Quieker höchster Verzweiflung ausstieß. Als sie endlich ihr Futter hatten, konnte die kleine Familienfeier ihren Fortgang nehmen. Sie geriet zu einer sehr feinen Feier, Kerzen und Pralinen dufteten, und überall klang es nach Musik und guten Worten.
Auch in Papas Nase ging es hoch her gleichzeitig, wo auch alle fünfhundertsiebenundsibzigtausendzweihundertunddreizehn Angehörige der Bazillenfamilie eine sehr ausgelassene Feier veranstalteten; kein Wunder, daß sie überquollen vor Familiengefühl angesichts dieser weitläufigen Verwandtschaft. Man könnte hier von einem weit über die Humanpopulation hinausgreifenden und tief in sie hineingreifenden Freudentag aller Kreatur sprechen. Das Glück aber, so scheint es jedenfalls, ist überall ein wenig triefend.
Pause.
Aber schlafen Sie nicht zu lange, versäumen sie nicht die ungemein spannenden, launigen und lehrreichen weiteren Folgen von

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